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.«»Howard hat nie daran geglaubt, die ganze Zeit über nicht, er hat nur so getan.Emma konnte sich auf seinen Glauben nicht verlassen, nur auf meinen.Wenn sie jetzt stirbt, ist es allein meine Schuld.Ich bin alles, was sie noch hat.«Howard rutschte unbehaglich auf seinem Platz hin und her, aber Sarah sah nicht zu ihm hinüber.Heute wurden keine bedeutungsvollen Blicke getauscht.»Zwei Jahre lang habe ich gedacht, irgendetwas, das ich tue, hält Emma fern«, fuhr Sarah fort.»Ich dachte, wenn ich nicht wäre, würde sie zurückkommen.Dann hätte sie ihr Leben fortführen können.Aber jetzt kommt mir das sehr dumm vor.«»Nein, so würde ich das nicht nennen.«»Als sie noch ein Kind war, mochte ich es nie, wenn sie drau ßen spielte.Ich stellte mir immer das Schlimmste vor – dass sie entführt und ermordet werden würde.Man hört doch, wie oft das vorkommt.Ich machte mir ständig Sorgen, wenn Emma nicht in meinem Blickfeld war.Also richtete ich es so ein, dass ich sie immer sehen konnte.Aber gleichzeitig fühlte ich mich schuldig, weil ich ihr keine Freiheit ließ.Es war damals schon gefährlich genug für Kinder.Aber heute ist es noch schlimmer, nicht wahr?«»Statistisch gesehen, nicht«, antwortete Fry.»Es werden nicht mehr Kinder von Fremden entführt oder ermordet als in den Achtzigerjahren.«»Aber wenn es passiert, erfahren wir sofort davon.Es kommt in den Nachrichten, im Fernsehen und steht in allen Zeitungen.Alle reden darüber.«»Manchmal müssen Kinder lernen, dass das Leben auch riskant sein kann.Das gehört zum Erwachsenwerden.«»Glauben Sie, das wäre nicht passiert, wenn ich zugelassen hätte, dass Emma größeren Risiken ausgesetzt gewesen wäre, als sie noch jünger war?«»Das kann kein Mensch sagen, Mrs Renshaw.«»Trotzdem frage ich mich das.Dauernd denke ich, dass es meine Schuld war, und fühle mich wegen jeder Kleinigkeit schuldig.Das fällt mir in den unmöglichsten Augenblicken ein.So wie damals, als ich Emma stillte.«Fry warf Howard einen Blick zu, der aus dem Fenster sah und ins Leere starrte.Er saß auf der Ledercouch neben einem der Teddybären, der mit ebenso leeren Augen in die Luft starrte.»Sie haben Schuldgefühle, weil Sie gestillt haben, Mrs Renshaw?«»Nein, es gab da nur diesen kleinen Zwischenfall, als sie gerade ihre Zähne bekam.Es war nur ein kurzer Moment, nicht mehr als eine instinktive körperliche Reaktion von meiner Seite.Aber das kann ein Kind fürs Leben zeichnen – vor allem in dem Alter, wenn es noch so empfänglich ist.«»Ich verstehe nicht, worüber Sie reden.«»Als Emma zahnte, biss sie mich einmal in die Brustwarze.Es tat fürchterlich weh, und ich bin ziemlich erschrocken.Natürlich habe ich sie sofort von der Brust genommen – weil es so wehtat, wissen Sie.Aber das hieß, dass ich sie in einem entscheidenden Moment abgewiesen habe – als sie an meiner Brust trank.Und das zu einer Zeit, die so wichtig ist für die Bindung, für den Aufbau der Liebe und des Vertrauens zwischen Mutter und Kind, die ein Leben lang halten sollen.«»Aber Sie haben es doch nicht mit Absicht getan.«»Nein, aber das kann man einem Baby nicht erklären.Und Emma begriff, dass sie zurückgewiesen worden war.Sie schrie, und ich sah es ihr an.Danach hat sie immer sofort zu weinen angefangen, wenn sie mich beim Stillen wieder biss, obwohl ich versuchte, den Schmerz auszuhalten und sie nicht wegzuschieben.Sie erwartete geradezu, von mir abgewiesen zu werden.Diese frühen Erfahrungen hinterlassen bleibende Eindrücke, die nie ausgelöscht werden können.Ich bin sicher, dass Emma ihr Leben lang in der Erwartung gelebt hat, von ihrer Mutter zurückgewiesen zu werden.Es ist wichtig für mich, dass sie bald nach Hause kommt, damit ich ihr das erklären kann.«Schuldgefühle waren ein seltsames, unerklärliches Phänomen.Im schlimmsten Fall gingen sie an die Substanz und man empfand bereits Schuldgefühle, nur weil man existierte.Doch in gewisser Weise hatten Schuldgefühle auch etwas Gutes.Die schlimmsten Menschen waren diejenigen, die keine Schuld empfinden konnten.Schuld fungierte manchmal als Kitt zwischen Menschen.»Das ist das Erste, woran ich denke, wenn ich aufwache, und das Letzte, wenn ich abends ins Bett gehe«, erklärte Sarah.»Der Gedanke begleitet mich ständig.«Endlich hörte Howard auf, auf der Couch nervös herumzuzappeln, stand auf und ging aus dem Zimmer.Fry sah ihm nach, aber seine Frau schien kaum Notiz davon zu nehmen.Fry wusste, dass der lange Zeitraum, der verstrichen war, es den Renshaws nur noch schwerer gemacht hatte.Einige Jahre zuvor waren die Richtlinien für Coroner geändert worden.Dadurch sollte verhindert werden, dass die Leiche eines Mordopfers auf unbestimmte Zeit im Kühlhaus eingelagert wurde, bis es zum Prozess gegen ihren Mörder kam.Damit wurde dem Leid Rechnung getragen, das der Familie des Opfers zugefügt wurde, und auch deren Bedürfnis nach einem Abschluss.Wäre Emmas Leiche sofort gefunden worden, wären höchstenfalls achtundzwanzig Tage vergangen, ehe der Coroner die Leiche zur Bestattung freigegeben hätte, auch wenn niemand des Mordes angeklagt worden war.Und dann wären die Renshaws frei gewesen, Emma zu Grabe zu tragen.Aber das war nicht geschehen.Ein Abschluss war ihnen verweigert worden; stattdessen hatten sie zwei Jahre lang einen Hoffnungsschimmer genährt wie die Kerze, die in ihrem Fenster brannte und die Sarah nie ausgehen ließ.Im Zimmer nebenan klingelte das Telefon.Fry bemerkte, dass Sarah Renshaw auf die Uhr sah und auf das Ziffernblatt starrte, als wollte sie sich diese Sekunde des Tages für immer einprägen.Fry hatte das bereits zuvor beobachtet und wusste, ohne zu fragen, dass auch dieses Ritual mit Emma zu tun hatte.Im Leben der Renshaws hatte die Zeit einen hohen Stellenwert.Auch Fry spürte, wie die Tage verrannen.Aber vielleicht nicht in die Richtung, die Sarah Renshaw erwartete.»Aber eines können wir mit Gewissheit sagen.Dieses Ereignis hat wieder Gefühle in unser Leben gebracht«, sagte Sarah.»Wie meinen Sie das?«»Unsere Ehe war erkaltet, wissen Sie.Zwischen Howard und mir gab es kaum noch emotionale Nähe.Was immer am Anfang einer Ehe auch zwischen den Partnern existieren mag, es verlöscht im Lauf der Jahre, und man merkt kaum, dass es immer weniger wird.Aber wenn es dann weg ist, stellt man eines Tages fest, dass etwas fehlt.Man verspürt ein Gefühl der Unzufriedenheit.«»Ich verstehe.«»Aber als das mit Emma passierte, war es plötzlich anders.Plötzlich erkannte ich, was fehlte.Nach all der Zeit gab es wieder so etwas wie Gefühle, Emotionen.Und nicht nur von meiner Seite, auch von Howard.Ich hatte ganz vergessen, dass er dazu fähig war.Aber nach der Sache mit Emma war er ein anderer Mensch, war wieder der Mann, den ich geheiratet hatte.Sie verstehen vielleicht nicht ganz, wie tröstlich das war.Nein – mehr als tröstlich.«»Das klingt fast so, als wären Sie zufrieden gewesen, dass Ihre Tochter vermisst wurde.«»Nein.So etwas wäre doch schrecklich«, erwiderte Mrs Renshaw.»Aber?«»Ich will damit nur sagen, dass uns die vergangenen zwei Jahre wieder näher zusammengebracht haben.Es war irgendwann in den ersten Tagen nach ihrem Verschwinden, als die Polizei uns mitteilte, sie hätte Emma nicht finden können.Das hat mich sehr aufgeregt, vor allem die Vorstellung, dass sie aufgeben und aufhören wollten, nach ihr zu suchen.Die intensivste Erinnerung aus der Zeit ist die, dass Howard seinen Arm um mich legte und mich fest an sich drückte
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